Warum Metal regelmäßig die Charts anführt und trotzdem kaum jemand die Bands kennt – Kolumne
Vor kurzem starteten wir den Aufruf nach Gastautoren und die Bewerbungen kamen zahlreich. Für die informativsten Beiträge wie den folgenden machen wir gerne als Sonntagsthema Platz.
Metal-Bands ganz oben in den Hitparaden – das ist alles andere als neu. Mutiert Metal deswegen zum Mainstream? Eine Spurensuche zwischen Formatradio, Spotify und Volksmusik.
Markus Arch, Gastautor aus Klagenfurt
In Deutschland ging vor kurzem der „Chart-Krieg“ zwischen Heaven Shall Burn und Pietro Lombardi zu Ende. Dabei ging es darum, wessen neues Album sich besser verkauft und auf Platz 1 der Charts klettert. Die Metalcore-Ikonen konnten bei diesem Wettstreit den Sieg erringen. In Österreich haben sie es mit ihrem Werk Of Truth and Sacrifice auf Platz 4 geschafft, in der Schweiz landeten sie an sechster Stelle. Im Moment gibt es einen ähnlichen Krieg zwischen Trivium und dem Rapper Ufo361 (ja, der heißt wirklich so).
Wieso sollten solche Stories irgendjemanden interessieren? Ganz einfach: Chart-Erfolge sind für Metal-Bands im deutschsprachigen Raum längst keine Seltenheit mehr. Bei Bands wie Sabaton oder Powerwolf kann man sich als vermeintlich wahrer Metal-Fan noch bequem zurücklehnen und „Schlager-Metal!“ rufen, wenn man das für sinnvoll hält. Bei anderen Chart-Stürmern, beispielsweise Accept oder Motörhead, geht das nicht so einfach. Auch diese beiden Bands waren schon auf Platz 1 der deutschen Charts. Daneben gibt es noch viele weitere Hitparaden-Stürmer aus unterschiedlichen, metallischen Sub-Genres. Egal ob Amon Amarth, Kreator oder Oomph! – die Liste ist lang, die Chart-Erfolge sind groß.
Bei diesen Platzierungen stellt sich die Frage, ob Metal nicht bereits längst im Mainstream angekommen ist. Mit Blick ausschließlich auf die Verkaufszahlen lautet die Antwort: Ja. Auch wenn der Thron der Album-Charts den Metal-Bands meist in Deutschland vorbehalten bleibt, in Österreich und der Schweiz schaffen es dieselben Bands mit denselben Alben oft auf eine Position in den Top 20.
Wer masochistisch veranlagt ist und den großen Radiosendern lauschen will, der wird davon nichts mitbekommen. Nehmen wir als Beispiel das staatliche Gemeinderadio Ö3 oder die Antenne-Sender des Styria-Konzerns: Zwischen dem Geplapper der Moderatoren, den Nachrichten und den Werbepausen gibt es dort wenig Metallisches zu hören. In anderen Ländern ist Metal im Radio aber nicht so abwegig.
Als der Autor dieser Zeilen sich vor Jahren ein Frühstück in einer kleinen Bäckerei in Helsinki servieren ließ, schallte nach den finnischen Nachrichten plötzlich Children of Bodom aus den Boxen. Und die Kellnerin, eine rund 50-jährige Dame mit Hornbrille, summte munter die Melodie mit. Vielleicht war diese Begebeneheit reiner Zufall. Es ist aber bestimmt kein Zufall, dass viele großartige Bands aus Skandinavien kommen. Das Verhältnis der Nordmänner und Nordfrauen zum Metal scheint ein anderes zu sein als in Österreich.
Aber zurück zu den anfänglichen Fragen: Wenn Metal auch hierzulande finanzielle Erfolge feiert, wieso wird diese Musik von den großen Medienhäusern ignoriert? Und wieso wird jemand, der sich nicht für Metal interessiert, keine der bereits genannten Bands kennen (mal abgesehen von Motörhead, vielleicht)? Die Antwort liest sich wie ein Beziehungsstatus auf Facebook: Es ist kompliziert.
Um die Fragen einigermaßen beantworten zu können, lohnt sich ein kurzer Blick in die Statistik. Der Absatz bei physischen Tonträgern (CD, DVD, Vinyl) ist laut dem aktuellen Bericht der IFPI Austria, zu dem ihr HIER kommt, dem österreichischen Verband der Musikindustrie, seit Jahren stark rückläufig. 2019 betrug der Jahresumsatz 50,6 Millionen Euro. Das entspricht einem Minus von 14,2 Millionen Euro im Vergleich zu 2017.
Es überrascht bestimmt niemanden, aber der Trend geht in Richtung Streaming. Im Vorjahr machten Streams über die Hälfte des Umsatzes der österreichischen Musikindustrie aus, der gesamte Markt ist durch Streams sogar um 8,6 Prozent gewachsen. Zum Vergleich: Der Umsatz durch Downloads und physische Tonträger ist weiter eingebrochen, teilweise um über 20 Prozent. Das bedeutet: Streams bringen richtig viel Geld, physische Tonträger und Downloads eher weniger.
Der so genannte Mainstream orientiert sich also immer stärker an Streams. Etwas zu streamen ist ja so ähnlich wie einen Film in einer Videothek auszuleihen: Man will ein Stückchen Kunst nicht wirklich besitzen, aber trotzdem hören oder sehen. Dafür zahlt man weniger oder vielleicht auch gar nichts. Für die jüngeren Leser: Eine Videothek ist sowas wie Netflix ohne W-LAN, dafür mit einer Autofahrt zu einem Haus voller DVDs.
Da also sehr viele Menschen ihre Musik lieber streamen als kaufen, sagen die Verkaufszahlen von Alben nicht mehr so viel aus. 1000 Premium-Streams, also Streams bei einem kostenpflichtigen und werbefreien Portal, entsprechen laut IFPI (Richtlinien IFPI HIER) dem Kauf eines Albums. Dazu kommt vermutlich, dass die meisten Menschen eher wechselnde Lieblingssongs anstelle von Lieblingsalben haben. Dass sich einzelne Songs als Singles von Radios auch besser unters Volk bringen lassen als ganze Alben, ist einleuchtend.
Somit relativiert sich die Lage schon sehr stark. Ein Beispiel: Das in Österreich meist verkaufte Album 2019 stammt von Rammstein. In den Singles-Charts und bei der Anzahl der am häufigsten gestreamten Künstler taucht diese Band aber gar nicht auf.
Beim Kauf von Musik gibt es auch Unterschiede zwischen den Genres, behauptet zumindest Franz Pleterski. Als General Manager von Warner Music Austria wird ers wohl wissen. Laut ihm werden Rap, Pop und elektronische Musik von ihren Fans gerne gestreamt, Metaller hingegen greifen eher zu physischen Tonträgern. Das haben wir übrigens mit Anhängern von Schlager und Volksmusik gemeinsam. Siehe den IFPI-Jahresbericht 2019.
Wir wissen also, dass Heaven Shall Burn in Deutschland auf Platz 1 der Album-Charts waren. Zeitgleich führten aber die Elektro-Popper von The Weeknd die Single-Charts an, bei Spotify war der Rapper Fler der meist gestreamte Musiker. Zusammengefasst bedeutet das: Wiederkehrende Chart-Erfolge von Metal-Alben sagen nur wenig über die Mainstreamigkeit dieser Musik aus. Solange uns Heaven Shall Burn nicht von Spitzenpositionen der Single-Charts oder Streaming-Listen entgegen schreien, werden wir sie eher nicht im Radio zu hören bekommen.
Anti-Kommerz-Jünger können sich jetzt freuen: Metal-Alben verkaufen sich gut, sind aber trotzdem nicht Mainstream. Metal-Bands können dadurch weiterhin große Erfolge feiern, ohne irgendwo zwischen Avicii und Sarah Connor im Radio gespielt zu werden. Das freut vermutlich auch die Ö3-Hörerschaft.