Old and Gold – Ein Klassiker aus meinem Plattenschrank – Kolumne
Old and Gold – Ein Klassiker aus meinem Plattenschrank widmet sich als Kolumne jeweils einer vergangenen Band, die so nicht mehr existiert. Die perfekte Sonntagslektüre mit dem bestimmt ein oder anderen bisher unbekannten Musiktipp.
Die Idee unserer Sonntagskolumne, aus unseren heimischen Sammlungen in regelmäßigen Abständen vergessene Perlen wiederzuentdecken und euch hier auf Soundmagnet.eu vorstellen zu können, hat mir von Anfang an richtig gut gefallen. Denn es gibt so viele Alben oder ganze Bands, die in der großen Veröffentlichungsflut nie die Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie eigentlich verdient hätten. Alben, die aber in den Jahren nichts von ihrem Glanz und ihrer Faszination verloren haben und deshalb auch heute noch immer wieder in besonderen Momenten den Weg in meine Anlage finden.
So zum Beispiel die bayerische Band Schweisser, die 1988 als deutsche Punkrock Band startete und mit einer selbst produzierten und vertriebenen EP und dem anschließenden Debütalbum Autobahn zur Hölle ein erstes Lebenszeichen von sich gaben. In den Sound, der da noch irgendwo zwischen Extrabreit und den Ärzten angesiedelt war, wurde als Besonderheit ein Saxofon integriert. Ich lernte Schweisser erst mit dem 1991 veröffentlichten zweiten Werk Eisenkopf kennen, als das Video zum Titellied auf MTV’s Headbangers Ball über den Bilschirm flimmerte. Diese Wut, eingepackt in Tommi Böcks intelligente, sozialkritische und teilweise sehr verstörende Texte, abseits von Böhsen, Unheiligen und pathetischen Schüttelreimen, waren für mich genauso neu wie der brachiale Sound, in dem das Saxofon von Martin Gruber weiterhin eine signifikante Rolle spielte. Man wird von den intensiven, psychotischen Texten zu Songs wie Hölle, (auch hierzu wurde ein Video gedreht) Mitten ins Gesicht und Scheisskind regelreicht eingesaugt.
Es lief gut für die Oberbayern, die mit Malaria 1996 eine EP vorlegten, die auch Dank des dazugehörigen Videos in den einschlägigen Metalsendungen für sehr gute Resonanzen sorgte. Das dazugehörige Album Willkommen im Club führte das fort, was mit Eisenkopf erfolgreich vorbereitet wurde. Musikalisch war der brachiale Sound, der irgendwo zwischen Pantera und Faith No More einzusortieren ist, absolut en Vogue. Nu Metal und Grunge waren dabei, den Mainstream zu erobern. Abrissbirnen wie Ärger, Immer im Kreis, Mannstopwirkung und Krieg im Kopf sind zeitlose Psychogramme unserer kaputten Leistungsgesellschaft, die auch heute noch rücksichtslos nach dem Recht des Stärkeren handelt. Die Schwächeren bleiben dabei auf der Strecke. Die für mich bis heute unerreichten intensiv vorgetragenen Texte von Tommi Böck in Verbindung mit dem alles niederwalzenden Sound machen Willkommen Im Club für mich zu einem unverzichtbaren Album!
Mit dem 1997 veröffentlichen Heiland erfolgte abermals eine Kurskorrektur. Die Songs wurden entschlackt, das Brachiale wich differenzierteren, luftigeren, aber nicht weniger eindringlichen Kompositionen. Textlich ist Heiland aber nach wie vor ein Füllhorn extrem scharfsinniger Themen, das der Gesellschaft ungeschönt den Spiegel vor ihr hässliches Gesicht hält. Nachrechnen, Ich sehe deine Wunde, Erlösung, Körper und Friss Scheiße sind wieder bitterböse Abrechnungen mit unserer kranken Welt. Auf Meine Liebe ist ein Monster kommt es zu einer Zusammenarbeit mit den finnischen Cello-Metallern von Apocalyptica. Auf der anschließenden Tour mit den Melvins konnte ich mich in der alten Frankfurter Batschkapp von den Livequalitäten der Band überzeugen, die einen für mich unvergesslichen Auftritt hinlegte, bei dem der Schweiß von der Decke tropfte. Diese drei Alben würden von mir auch heute noch uneingeschränkte 10 Punkte einfahren. Solltet ich euch ein wenig neugierig auf die Band gemacht haben, findet ihr bei Ebay, Discogs oder anderen Second Hand Foren die Scheiben wahrscheinlich für einen schmalen Taler. Die Lücke, die die Band hinterlassen hat, konnte für mich in Teilen nur die Stuttgarter Band Tieflader füllen, die ich hier allen empfehlen möchte, die auch die Schweisser auf der musikalischen Landkarte ähnlich vermissen wie ich.
Abschließend möchte ich natürlich auch das nachfolgende Album Bitte Warten von 1999 nicht unerwähnt lassen, auf dem wieder eine deutliche musikalische Veränderung stattfand. Glattgebügelt und irgendwo zwischen Selig und Wirtz im alternativen Poprock gelandet, kann ich lediglich den immer noch starken Lyrics etwas abgewinnen. Beim Song Zeig mir dein Gesicht gibt es mit Marianne Rosenberg ein Duett, das war dann auch schon alles, was es darüber zu sagen gibt. Kurze Zeit später löste die Band sich auf, 2006 gab es mit Pororoca ein weiters Album, von der Original Besetzung ist allerdings nur noch Tommi Böck übrig. Das Album hat es bis heute nicht in mein Regal geschafft, zu tief saß die Enttäuschung über den eingeschlagenen musikalischen Weg.
Damit entlasse ich euch in den Sonntag und hoffe, euch mit meinem heutigen Griff in mein Regal ein wenig Lust darauf gemacht zu haben, in der eigenen Sammlung mal wieder nach längst vergessenen Juwelen Ausschau zu halten.
Line up: (bis 2001)
Tommi Böck – Gesang Gitarre
Martin „Buffo“ Völker – Gitarre
Sepp Lautenbacher – Bass
Martin „Miene“ Gruber – Saxofon
Gerald „Greulix“ Schrank – Drums
Discografie:
1990 – Schweisser – self released EP
1992 – Auf der Autobahn zur Hölle
1994 – Eisenkopf
1996 – Malaria EP
1996 – Willkommen im Club
1997 – Heiland
1999 – Bitte Warten
2006 – Pororoca