Female Fronted Metal – Sonntagsgedanken – Kolumne
„Huch, da singt ja eine Frau!“ – Mehr sagt die Genre-Bezeichnung „Female Fronted Metal“ nicht aus, aber trotzdem hält sie sich hartnäckig. Warum wird dieser Begriff im Jahre 2020 immer noch verwendet? Und vor allem: Wann werden wir beginnen, diese nichtssagende Kategorie durch etwas Sinnvolles zu ersetzen?
Das metallische Universum ist riesig und expandiert immer weiter. Ständig ändert sich etwas, was Traditionalisten regelmäßig sauer aufstößt. Crossover, Nu Metal, alles von Metallica seit 1988 – die Liste an Dingen, mit denen sich humorlose „True Metalheads“ wunderbar ärgern lassen, wächst und wächst. Eine Sache aber war immer schon da, trotzdem wird teilweise noch so getan, als wäre sie etwas Außergewöhnliches: Frontfrauen in der Metal-Szene.
Zitronen im Obstsalat
Schon in den 80er Jahren hat Doro Pesch mit Warlock für Furore gesorgt und Girlschool haben mit Motörhead eine EP veröffentlicht. Ähnlich lange her ist es, seit Holy Moses begannen, sich mit Sängerin Sabine Classen-Hirtz durch den Thrash-Underground zu schreddern. Heute machen so unterschiedliche Bands wie Arch Enemy und Nightwish den „Metal-Mainstream“ unsicher. Diese Combos hören sich völlig unterschiedlich an, die einzige, große Gemeinsamkeit ist, dass eine Frau hinterm Mikro steht.
Female Fronted Metal ist genau so sehr ein Genre, wie „eigentlich alles“ ein Musikgeschmack ist.
Genau darin liegt auch die Sinnlosigkeit der Bezeichnung „Female Fronted Metal“ begraben. Es ist kein Genre! Die oben genannten Beispiele sind in verschiedenen Spielarten des Metal unterwegs, also ist es absurd, sie in einen Topf zu werfen. Das ist in etwa so, als würde man Zitronen in einen Obstsalat geben und sich dann wundern, dass dieser sauer schmeckt. Zitronen sind Obst, aber sie schmecken nicht wie Äpfel? Bei Arch Enemy und Nightwish singen Frauen, aber sie hören sich nicht gleich an? Überraschung, Überraschung.
Konservative Weltoffenheit?
Zu der Sinnlosigkeit des Begriffs „Female Fronted“ kommt noch eine Paradoxie dazu: Die metallische Szene geniert sich allgemein gerne als offen und tolerant. Klar, es gibt ganz andere Auswüchse – Burzum soll ja beispielsweise immer noch Fans haben. Dennoch, im Großen und Ganzen ist die Metal-Welt ein großes, freundliches Miteinander – da muss man nur auf Festivals gehen, um das zu merken. Also, sobald es wieder möglich ist.
Mit den allbekannten Institutionen, die Menschen liebend gerne nach Geschlechtern trennen, sollten wir nichts gemeinsam haben wollen.
Bei aller Toleranz ist es doch seltsam, dass ein eigenes Genre erfunden wird, nur um sagen zu können: „Guck mal, eine Frau!“ Ja, die Person, die da ihre Stimmbänder strapaziert, hat Brüste. Muss man sie deshalb mit allen anderen Menschen, die Brüste haben und harte Musik machen, in eine Schublade einordnen? Der Sexismus-Vorwurf wird nicht gerne gehört und ist hoffnungslos überstrapaziert, aber es hilft nichts: Ein bisschen sexistisch ist das schon. Und außerdem sehr konservativ.
Her Ghost in the Fog is the Painkiller?
Niemand kommt auf die Idee, Rob Halford und Dani Filth in die gleiche Kategorie einzuordnen. Dabei singen beide des öfteren in höheren Tonlagen und tragen schwarzes Leder. Bei Floor Jansen und Alissa White-Gluz ist es ähnlich: Auch die beiden singen teils in höheren Lagen und tragen gegerbte Tierhaut (wenn auch keine echte, vermutlich). Aber: Sie haben keine Eier, sondern Eierstöcke. Daher sind beide in „Female Fronted Metal“ Bands und können demselben Genre zugeordnet werden? Dieser Gedankengang ist und bleibt absurd.
Warum gibt es die Bezeichnung „Female Written Literature“ nicht? Weil Bücherfans wissen, dass das Geschlecht nichts zur Sache tut.
Symphonic Metal, Thrash Metal, Death Metal und so weiter sind Bezeichnungen für Genres. Irgendwie muss man die Musik ja benennen, um sie halbwegs einordnen zu können. Diese Bezeichnungen stehen für Merkmale der Klänge, die da gerade aus den Boxen oder von einer Bühne schallen. Das trifft auf „Female Fronted“ nur sehr bedingt zu. Es bleibt daher zu hoffen, dass wir uns bald endgültig davon verabschieden. Danach können wir uns vollends auf das konzentrieren, was im Metal wirklich wichtig ist: Die Musik und nicht das Geschlecht.
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