Alt und Neu aus meinem Plattenschrank – Meine Empfehlung für Sonntag – Kolumne
Alt und Neu aus meinem Plattenschrank ist eine wiederkehrende Kolumne, in der unsere Redakteure jeweils ein Album zur näheren Besprechung und Vorstellung auswählen. Die perfekte Sonntagslektüre mit dem bestimmt ein oder anderen bisher unbekannten Musiktipp.
Ein verregneter und grauer Tag im Oktober. Was eignet sich da als musikalische Untermalung besser als das 1997 erschienene achte Album der Progressive-Götter Fates Warning – A Pleasant Shade Of Gray. Ein Monument, bestehend aus nur einem einzigen Song, der in zwölf Teile gegliedert ist. Nachdem ihre letzten beiden Alben Parallels und Inside Out doch sehr auf den MTV-Airplay zugeschnitten waren, machte Mastermind Jim Matheos auf APSoG die 180 Grad Wendung und erschuf ein gewaltiges, progressives Konzeptalbum für die Ewigkeit.
Armored Saint-Tieftöner Joey Vera kam für den ausgeschiedenen langjährigen Bassisten Joe DiBiase. Außerdem verstärkte sich die Band zum ersten Mal mit Ex-Dream Theater Keyboarder Kevin Moore an einem Tasteninstrument. Das Album verbreitet eine melancholische Grundstimmung, die wie ein langer Traum zu sein scheint, der von Liebe, Verlust und Traurigkeit geprägt ist. Die grauen Gedanken kommen und gehen. Mit dem Klingeln des Wecker am Ende des Albums erwacht der Hörer, und wird zurück in die Realität geholt.
Ein düster melancholisches Meisterwerk
Musikalisch gesehen ist A Pleasant Shade Of Gray also keine einfache Kost und erschließt sich erst nach mehreren Durchläufen. Schon der Beginn mit dem eingespielten Regen und der düsteren Atmosphäre unterstreicht Ray Alders schwerwiegende Zeilen: „So where do we beginn and what else can we say? When the lines are all drawn, what should we do today“? Kalte, fast mechanische Sounds treffen im Quasi-Titelstück Pt. III auf warme, die Seele streichelnde Melodien. Jim Matheos holt hier unvergleichliche Klänge aus seiner Gitarre und das akzentuierte, polyrhythmische Drumming von Mark Zonder verschafft dem Stück zusätzliche Schwere. Dazwischen bringt Ray Alder immer wieder gefühlvolle Gesangsharmonien, die umschmeicheln und die Musik zugänglicher machen.
Still looking for words, still writing letters in my head
Auch Kevin Moore bereichert mit seinem facettenreichen Spiel an den Tasteninstrumenten den Sound von A Pleasant Shade Of Gray enorm. Lockere und luftige Klavierpassagen, wie auf dem wunderschönen balladesken Pt. IX mit seinen poetischen Textzeilen, oder an Dream Theater erinnernde, stimmungsvolle Synthesziser-Sounds schaffen ein tiefgreifendes Hörerlebnis. Joey Vera brilliert zudem mit seinem ausdrucksstarken Bassspiel und macht den Viersaiter auf dem Album zu mehr als nur einem Begleit- oder Rhythmusinstrument. Ausgedehnte Soli und Frickelparts von Großmeister Matheos sucht man auf APSoG vergeblich. Er versteht es vielmehr, auf der Gitarre mit oft minimalistischen Riffs und Akkorden effektive Melodien zu kreieren, die sich im Laufe der Zeit unvergesslich ins Gedächtnis brennen. So wie auf dem letzten und längsten Stück Pt. XII, das das Album mit den eingespielten Regengeräuschen beendet und den Kreis damit schließt, bis der Wecker ertönt und den Hörer in die Wirklichkeit entlässt.
Ein Meilenstein progressiver Rockmusik
Wie man an meinen inzwischen zahlreichen Variationen von A Pleasant Shade Of Gray in meiner Sammlung sieht, hatte das Album für mich immer einen besonderen Stellenwert im nicht gerade an Highlights mangelnden Backkatalog von Fates Warning. Es steht damit auf einer Stufe mit Meilensteinen wie Dream Theaters Metropolis Pt 2: Scenes From A Memory und Queensryche’s Operation Mindcrime. Besonders empfehlen kann ich natürlich den Re-Release aus 2015. Er enthält neben der Albumversion den damals auf VHS-Cassette erschienenen Live-Mitschnitt aus Deutschland und einen weiteren Gig aus den USA als DVD und der Audio-Live-CD mit zusätzlichen Bonustracks. Außerdem ist der Re-Release auch erstmals auf Vinyl erschienen. Am 9.11.2020 wird das vermutlich letzte Album von Fates Warning Long Day Good Night via Metal Blade erscheinen und damit eine Band in den Ruhestand entlassen, die sich mit zahlreichen Alben ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt hat.
Bild:
Von links nach rechts: CD Single mit unveröffentlichten Demo Tracks 1997 – Sill Life CD 1998 (live Audio der VHS Cassette) CD Digipack 1997 – VHS Cassette 1998 – 3xCD/DVD Re-Release 2015
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