Chandelier / t – Nachgefragt bei Christoph Tiber und Thomas Thielen – Interview

Am kommenden Wochenende ist es soweit. Am 13. März treten die zum letztjährigen Night of the Prog Festival auf der Loreley reformierten Chandelier, eine der bekannteren Progressive Rock Bands der 1990er aus deutschen Landen mit Tony Moff Mollo von Grobschnitt als Gast , und Thomas „t“ Thielen, der jahrelang im Heimstudio an seinen Alben gefeilt hat und den Sprung im letzten Jahr zusammen mit Crystal Palace in den Livekontext geschafft hat, im Spirit of 666 im belgischen Velviers sowie am 14, März in der Zeche Carl in Essen gemeinsam auf.
Sie treten damit den Beweis an, wie gut zwei Generationen von Progressive Rock Musiker live zusammen harmonieren können. Im Vorfeld habe ich Thomas Thielen und Christoph Tiber, den Bassisten von Chandelier, zu ihren Recording Business befragt.


Foto Credit: Chandelier

Ingo: Hallo Thomas und Christoph, ihr beiden seid ja schon seit über 20 Jahren als Recording Artist im Progressive Rock unterwegs. Könnt ihr beschreiben, wie sich der Erstellungsprozess eines Rock Albums im Laufe der Jahre verändert hat? Welche Veränderung hier hat euch persönlich Erleichterung verschafft? Ihr arbeitet bzw. habt beide in Musikgruppen gearbeitet, besteht da ein eklatanter Unterschied zu einem Studiotüftler?
Thomas: Billie Eilish hat das, glaube ich, sehr deutlich gemacht: Man kann seit ungefähr 10 Jahren auch zu Hause super aufnehmen. Das reduziert die Kosten für ein Studioalbum, in meinem Fall, um ca. 99.998%. Ebenso ist der Workflow einfach genial: Jede freie Minute kann genutzt werden. Ich habe drei sehr fordernde, aber zeitlich flexible Jobs – mein gesamtes Arbeiten funktioniert nur durch diese Entwicklung.
Christoph: Bei uns war es in den 1990er Jahren in der Tat noch komplett anders: da hat man ein Jahr an neuem Material gearbeitet und dann ging man für 2-3 Wochen ins Studio, um alles aufzunehmen und zu mixen. Als wir dann vor zwei Jahren ein paar alte Sachen neu aufgenommen haben, ist dies ebenfalls als Home Recording in Udos (Anmerkung des Redakteurs: gemeint ist Udo Lang, der Gitarrist von Chandelier) Kellerstudio passiert, wo jeder mal vorbeigeschaut und seine Parts eingespielt/gesungen hat. Seit Armin Riemer (Elleven) bei uns als Keyboarder einstiegen ist sind wir sogar in der wunderbaren Lage, in seinem Studio zu proben und aufzunehmen. Also «the best of both worlds» wenn man so will.

Foto Credit: Thomas Thielen „t“ FB

Thomas: Was die Unterschiede zum Arbeiten mit einer Band im Studio betrifft: Wenn ich mitten in der Produktion merke, dass der eine Part doch ohne Gitarre besser klingt, krieg ich dafür kein Messer mit Saiten dran in den Rücken. Ich kann ohne großes Trara als Produzent einfach der Musik dienen. Und wenn man, wie bei t, das Tonstudio als Instrument betrachtet, ist das verflucht hilfreich, wenn man die Zahl der Egos klein gehalten hat.
Christoph: Das ist bei uns natürlich anders. Wir sind da immer noch beim «composing by comitee» wie es Peter Gabriel mal spöttisch genannt hat. Da werden also Vorschläge probeweise gespielt und dann darüber abgestimmt. Das kann auch schon mal zu Spannungen und Enttäuschungen führen, dafür hat man aber auch den Input verschiedener Personen, was der Musik im Idealfall zu mehr Facetten verhilft.

Ingo: Welche Musikgruppen und welche Genres haben euch am meisten beeinflusst, und in welcher Hinsicht? Gibt es Punkte, an denen ihr den Vorbildern noch ein bisschen näher kommen möchtet, oder im Gegenteil, stärker abgrenzen möchtet?
Thomas: Christoph und ich teilen die Liebe zu den frühen The Cure. Mich haben aus dem Progressive Rock eigentlich nur wenige beeinflusst, ich komme aus dem Pop und dem New Wave. Neben The Cure bin ich da eher bei den Smiths, Joy Division, aber auch a-ha, Bruce Springsteen und Dire Straits. Dazu noch Radiohead, Sigur Rós, aber natürlich auch Marillion, IQ und Genesis.
Christoph: Bei uns standen damals natürlich die großen Progressive Rock Bands der 1970er und 1980er Jahre Pate, einfach weil das der gemeinsame Nenner war innerhalb der Band. Daneben mochte dann der eine mehr so Metal-Zeugs, der andere Indie-Kram oder Jazz oder Singer-Songwriter-Sachen. Das landete dann alles im großen Topf. Ich meine aber mich aber erinnern zu können, dass meine damalige Vorliebe für Prince und Hip Hop in der Band eher kritisch gesehen wurde.

Ingo: Gerade Chandelier, Christoph, haben vielerorts einen deutlichen NeoProg Stempel aufgedrückt bekommen, meiner Meinung nach zu Unrecht. Gerade auch zu der recht stiloffenen Musik von Thomas passt Chandelier hervorragend, daher bin ich auf eure gemeinsamen Prog Generations Konzerte sehr gespannt. Zumal ihr beiden ja, wie musikalisch teilweise aus anderen Richtungen kommt.
Thomas: Ich auch. Ich bin ja, für mich völlig überraschend, ehrlich gesagt, eingeladen worden! Eigentlich wollte ich 2020 keine Auftritte spielen, weil ich gleich 4 neue Projekte geplant hatte für das Studio, aber mit WiV und Chandelier? Wollte ich auf keinen Fall verpassen. Und weil ich ich bin, haben wir die Setlist für 2020 nochmal kräftig neu justiert, so dass auch die, die 2019 da waren, vielleicht Lust haben, sich das Update anzusehen. Ich musste meinen zweiten Gitarristen aus ein paar Gründen leider feuern. Ich habe angesichts des schwierigen Profils für einen potentiellen Nachfolger beschlossen, diese Gigs mindestens im März zu viert zu spielen und habe die Chance genutzt, die Live-Arrangements nochmal anders zu denken. Das klingt bisher sehr vielversprechend, etwas luftiger und deutlich transparenter. Ich muss dazu sagen, dass Dominik und ich alle Sounds im Studio vorprogrammieren: Wie passen Gitarre und Keyboards in den Frequenzen und im Stereobild so zusammen, dass es am Ende voll und transparent klingt? Da geben wir uns schon vor dem Soundcheck riesige Mühe.
Christoph: Die Idee der gemeinsamen Konzerte stammt wohl von mir. Mir schien es einfach interessanter, mit jemandem zu spielen, der eben nicht auch diesen klassischen Neo-Prog macht, für den wir – zu Recht oder nicht – stehen. Ich weiß nicht wohin sich Chandelier entwickelt hätte, wenn wir damals weitergemacht hätten, aber was wir damals gemacht haben und daher aktuell live spielen ist halt dieser Ende 1980er/Anfang 1990er Prog. Thomas‘ musikalische Reise beginnt ja gut 10 Jahre später, es ist im weitesten Sinne dasselbe Genre, aber eine völlig andere Auslegung und Herangehensweise.

Ingo: Wie sieht es mit weiteren Projekten eurerseits aus? Vielleicht sogar ein gemeinsames Studioalbum? Das letzte Chandelier Album ist ja schon eine Weile her, plant ihr ein neues?
Christoph: Es macht für uns tatsächlich nur Sinn, die Band wiederzubeleben, wenn wir auch neue Musik schreiben. Die anstehenden Konzerte sollten nochmal das „Loreley-Momentum“aufrechterhalten, innerhalb wie außerhalb der Band. Aber bei den jetzt angekündigten Konzerten soll es erstmal bleiben, die Band möchte sich danach definitiv auf neues Material konzentrieren. Wie dieser kreative Prozess dann aussehen wird, müssen wir aber erst noch herausfinden. Früher haben wir zweimal pro Woche geprobt, jetzt sehen wir uns einmal im Monat. Also wird das Aufnehmen im ein oder anderen Homestudio sicherlich auch bei uns eine grössere Rolle einnehmen. Ein gemeinsames Album mit t ist – um auf deine Frage zurückzukommen – nicht geplant. Aber wenn Thomas raus aus der Perfektionsfalle will kann ich ihm gerne mit ein paar unsauber und in fragwürdigem Timing gespielten Basslinien aushelfen. Ich bin überdies ein sehr schlechter Gitarrist, falls da mal was gefragt sein sollte.

Ingo: Habt ihr konkrete Erwartungen an eure Zusammenarbeit?
Thomas: Ja. Ich hatte jetzt, ohne da genauer werden zu wollen, gerade letztlich ein bisschen Erfahrung damit, wie unprofessionelles Arbeiten sich auf meine Laune auswirkt. Ich fand es toll, mit Christoph und Christian (WiV Entertainment) die Konzerte zu organisieren, und ich bin mir sehr sicher, dass das auch vor Ort so weitergeht und bin froh mit Tom Ronney schon vorher einen genialen Tech-Helfer am Start gehabt zu haben, der auch dieses Mal mit dabei ist, das lässt mich gut schlafen.
Christoph: Mir war natürlich nicht entgangen, dass Thomas eine One-Man Promomaschine sondergleichen ist, und wir versuchen – vergeblich natürlich – sein Tempo mitzugehen, um möglichst viel Leute für unsere gemeinsamen Shows zu interessieren. Bei den Konzerten selbst wird dann jede Band ihr Ding machen, außer dass beide Bands dasselbe Drumkit benutzen und ich mit einem Wecker vor der Bühne stehen werde, damit Thomas pünktlich Schluss macht.

Ingo: Du bist im letzten Jahr zum ersten Mal auf Tour gewesen mit deinem aktuellen Album Solipsystemology, zusammen mit Crystal Palace. Bist du insgesamt mit der Resonanz zufrieden? Du bringst ja Musik auf die Bühne, deren Zugang nicht für jeden nachvollziehbar und zu meistern ist. Wie könnt ihr  das in Relation zu den populären, altvorderen Bands setzen, die zum einen hohe Ticketpreise verlangen, aber zum anderen auch keine überzeugende Leistung mehr bringen können, oder zu Coverbands, die anderer Leute Musik mehr oder weniger originalgetreu nachspielen und einen großen Zulauf haben?
Thomas: Ich will da niemanden verdammen, ich covere ja selbst immer mal was, weil es mir Spaß macht. Das ist natürlich nichts, worüber ich richten will. Allerdings würde ich persönlich mich nicht wohl damit fühlen, wenn ich meine Alben von vor 40 Jahren spielen muss, damit die Halle voll wird. Das soll aber nur meine Perspektive sein, keine Wahrheit… Wenn der eigene Fokus aber auf Kreativität liegt, wird man als Künstler, der vielleicht auch monetär gezwungen ist, zum zigsten Mal deren alte Klassiker von früher zu spielen und sich jedes Mal neue Geschichten einfallen lassen muss, um das zu rechtfertigen, dann klingt das für mich psychisch ungesund. Wenn man aber rausgeht, um Party zu feiern, sieht das natürlich anders aus.
Ich will überhaupt nicht sagen, dass eins von beiden weniger wert ist. Ich sage nur: Es zeigt, wo bei Entscheidungen zu Konzertbesuchen die Prioritäten liegen. Das ist erstmal eine Beschreibung. Es liegt an uns Künstlern zu entscheiden, wie wir damit umgehen. Für t hatte ich immer Besuchszahlen und vor allem eine Art Publikum, die mich sehr gefreut haben. Ich habe mit meiner schwierigen, introvertierten Bagage Interesse und Respekt der Zuschauer erlebt, die ich mir still erhofft hatte, aber vor allem in der Breite nie erwartet hatte. Aber sowas passt besser in kleine Clubs, die voll sind, als in große, die dann eher spärlich besucht aussehen. Ein Publikum von mehr als 500 Leuten ist aber so natürlich für einen live-Newcomer schwer zu erreichen.
Christoph: Da ich selbst zu der Sorte Fans gehöre, die ihr Geld eher in die zehnte Neuauflage von der alten Klassiker von früher als in neue Bands stecken, darf ich mich da nicht zu sehr beklagen. Und Chandelier – da machen wir uns nichts vor – hat natürlich bei der ganzen CD-Reissue- und dann Loreley-Geschichte selbst fett von dieser Nostalgie-Sehnsucht profitiert. Ob wir in der Zukunft auch irgendwie „relevante“ oder „hörenswerte“ Musik machen, müssen wir erst noch rausfinden. Aber wie bereits gesagt ist es der dringende Wunsch der Band, neues Material zu schreiben statt nur mit den alten Sachen aufzutreten. Bis dahin melken wir die tote Kuh aber noch ein bisschen und bringen unseren Auftritt auf dem letztjährigen Night Of The Prog als Live-CD raus. Das wird dann hoffentlich ein passender Schlussstrich unter diese Nostalgie-Phase, bevor es auf zu neuen Ufern geht.

Ingo: Ich danke euch beiden herzlich für diesen Trilog und wünsche euch ganz viel Erfolg für euer Generationen-Treffen!


Beitragsbild: Foto Credit: Chandelier FB
Veranstaltung Prog Generations

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