Heilung – Drif – Album Review
Heilung – Drif
Herkunft: Deutschland / Dänemark / Norwegen
Release: 19.08.2022
Label: Season Of Mist
Dauer: 59:15
Genre: Amplified History / Nordic Ritual Folk
Heilung haben in den letzten Jahren einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Das einstige Underground-Phänomen füllt inzwischen die Hallen dieser Welt und ist auch Musikliebhabern ein Begriff, die sonst in der europäischen Folk-Szene nicht besonders affin sind. Dass die Band in der Serie Vikings zu hören war und außerdem den Soundtrack für das Videospiel Senua’s Saga: Hellblade II geliefert hat, hat wohl auch einiges dazu beigetragen.
Das internationale Musikerkollektiv veröffentlicht nun mit Drif sein bereits viertes Studioalbum und setzt mit dieser Scheibe seinen Weg konsequent fort. Dennoch ist das Konzept dieses Mal ein wenig anders, denn Heilung konzentrieren sich nicht mehr ausschließlich auf alte, nordische Gesellschaften, sondern auch auf antike Zivilisationen außerhalb von Europa.
„Wir haben die umliegenden alten Hochkulturen berücksichtigt, denn unsere nordischen Vorfahren sind nicht einfach aufgetaucht, haben existiert und sind wieder verschwunden. Schon in der Bronzezeit fanden wir auf deutschem Boden Seide, die schon vor 3000 Jahren aus dem fernen Osten importiert wurde. Mit dem Singen dieser urtümlichen Lieder wollen wir diesen Kulturen Tribut zollen, uns wieder mit den Anfängen verbinden und uns daran erinnern, dass wir alle, von Ost bis West, von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, durch den Austausch von Ideen und die gegenseitige Inspiration miteinander verbunden sind“, erklärt Sänger Kai Uwe Faust die neue Herangehensweise auf Drif.
Verstärkte Geschichte
Das Album beinhaltet neun Songs mit sehr unterschiedlichen Spielzeiten zwischen drei und dreizehn Minuten. Wenig überraschend sind alle Lieder sehr atmosphärisch ausgefallen und der spirituelle Aspekt der Musik steht wieder klar im Vordergrund. Drif bedeutet übrigens Versammlung oder Zusammenkunft, was sich sowohl auf die hintergründige Idee als auch auf die Gesamtheit der Songs am Album beziehen lässt. Die Band selbst sieht die einzelnen Lieder nämlich „wie kleine Flammen, die zueinander streben, um sich zu vereinen, zu verbinden, zu erschaffen und gemeinsam größer zu sein.“
Anders ausgedrückt: Das Album funktioniert am besten als Gesamtpaket. Die gewohnt archaische Instrumentalisierung sowie die mystisch anmutenden Gesangsstile der Bandmitglieder sind weiterhin nichts, was man nebenher anhören kann. Man muss sich genügend Zeit dafür nehmen, um diese Art von Musik vollständig erfassen zu können. Heilung selbst sprechen bei ihrem Stil übrigens von Amplified History, also verstärkter Geschichte. Und treffender lässt sich dieser Klang auch nicht beschreiben.
Historisch-mystische Hintergründe
Um diese Band wirklich zu verstehen, sollte man die Geschichten hinter ihren Liedern kennen. Der Text für die Auskopplung Anoana stammt beispielsweise von Brakteaten. Das sind goldene Münzen oder Amulette, die in Nordeuropa gefunden wurden und aus dem 4. bis 7. Jahrhundert nach Christus stammen. Sie wurden vermutlich um den Hals getragen und hatten Inschriften in unterschiedlichen Sprachen, aber auch in heute nicht mehr übersetzbaren Runen. Das Lied ist also eine Art verschlüsselter Zauberspruch aus der Zeit der Völkerwanderung, dessen Text sich aus den Inschriften der gefundenen Brakteaten zusammen setzt. Wie sich das anhört, kannst du HIER herausfinden.
Tenet hingegen ist vom Sator-Quadrat inspiriert, dass im italienischen Herculanuem gefunden wurde – einer Stadt, die 79 nach Christus von der Asche des Vesuv begraben wurde. Dabei handelt es sich um ein Palindrom – und was das ist kannst du bei Wikipedia nachlesen, sonst verwandelt sich dieses Review in eine wissenschaftliche Abhandlung. Jedenfalls ist dieser Song, der selbst ein Palindrom ist, rund 13 Minuten lang und verfügt über eine ungewöhnliche, aber packende Melodie, was ihn zu den Highlights auf Drif werden lässt.
Musikalische Erfahrung
Für deutschsprachige Hörer ist vermutlich Keltentrauer besonders spannend, das auf einem Gedicht basiert und den fiktionalen Kampf zwischen einem keltischen Heer und römischen Legionen der Eisenzeit beschreibt. Bei diesem Song ist der Text nicht nur verständlich, sondern auch sehr poetisch und spannend geschildert.
Insgesamt ist Drif weniger ein Album, sondern viel mehr eine musikalische Erfahrung. Ohrwurmmelodien und mitgröhlbare Refrains muss man weiterhin woanders suchen, denn auch nach einem kompletten Hördurchgang bleiben fast keine Song-Schnippsel hängen. Was aber hängen bleibt ist das Gefühl, hier nicht nur etwas gehört, sondern auch etwas erlebt zu haben.
Fazit
Heilung entführen uns auf Drif erneut in längst vergangene Zeiten und schaffen es dabei, eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen. Das lyrische Konzept der gegenseitigen Verbindung zwischen Menschen und Kulturen ist einerseits sehr komplex umgesetzt, andererseits aber ist die Musik unterhaltsam genug, um nicht nur Geschichtsprofessoren, sondern wiederum die breite Masse ansprechen zu können. Genau diese Symbiose aus Tiefgründigkeit und Eingängigkeit ist es, die der Band ihren Erfolg beschert und weiterhin bescheren wird. 8,5 / 10 mit klarer Tendenz nach oben.
Line Up
Kai Uwe Faust – Gesang, Percussions
Maria Franz – Gesang, Percussions
Christopher Juul – Gesang, Percussions
Gastmusiker
Annicke Shireen
Emilie Lorentzen
Mira Ceti
Jacob Hee Lund
Nicolas Schipper
Ruben Terlouw
Pan Bartkowiak
Marijn Sies
Gwydion Zomer
Isabella Streich
Martin Skou
Samiye van Rossum
Nadia Kalamieiets
Edward Boyter
Nina Cornelia Schilp
Mitchell Bosch
Gwydion Zomer
Katalin Papp
Vilja Christine Agger
Ea Christine Agger
Michael Berberian
Tracklist
01. Asja
02. Anoana
03. Tenet
04. Urbani
05. Keltentrauer
06. Nesso
07. Buslas Bann
08. Nikkal
09. Marduk
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