Moonspell – Nachgefragt bei Pedro Paixão – Interview
Moonspell haben Ende Februar ihr wunderbares neues Album Hermitage veröffentlicht. Wir haben ihrem Gitarristen und Keyboarder Pedro Paixão einige Fragen stellen können, die er auf wirklich ausführliche, intelligente und sympathische Art und Weise beantwortet hat. Aber lest selbst!
The original interview in English can be found HERE.
Sascha (Soundmagnet.eu): Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, ein paar Fragen für unser Magazin zu beantworten.
Zunächst einmal möchte ich zu einem wirklich fantastischen und abwechslungsreichen neuen Album gratulieren, es macht wirklich Spaß, diese Platte zu hören!
Wie lange habt ihr vom Songwriting bis zur fertigen Platte in diesen pandemischen Zeiten gebraucht?
Mit welchen Schwierigkeiten hattet ihr aufgrund der Corona-Situation zu kämpfen?
Pedro (Moonspell): Ich glaube, wir haben Anfang 2018 oder Ende 2017 mit den ersten Musikideen begonnen, die dann als Songs auf Hermitage gelandet sind, aber ich bin mir nicht sicher, es könnte auch früher gewesen sein. Es gab zwei Phasen, bevor das gesamte Songwriting abgeschlossen war, in der ersten schrieben wir sieben Songs bis September 2019. Am Ende des Jahres waren wir ziemlich sicher, dass wir mit diesen Songs so nicht zufrieden waren, obwohl wir sie fertig hatten. Die zweite Phase begann 2020, als wir drei weitere Songs gemacht haben und alle anderen sieben Songs neu überarbeitet haben. Einige von ihnen sind kaum wiederzuerkennen!
Die Pandemie und insbesondere der erste Lockdown in Portugal zwangen uns im März 2020 zu Hause zu sein, und das hat mich dazu gebracht, mich sehr auf das Umschreiben der Songs zu konzentrieren. Sie von vorne zu beginnen und wenn nötig neue Parts zu kreieren. Als wir uns wieder treffen durften, haben wir die Songs fertiggestellt und Hugo, den neuen Schlagzeuger, in die Songs mit einbezogen. Der Hermitage-Titel und das Thema des Albums sind allerdings schon viel älter. Ich bin mir sicher, dass wir den Titel und die Texte für dieses Album schon 2017 hatten.
Also was das Songwriting und die Arrangements des Albums angeht, hatte die Pandemie zwar einen Einfluss, aber es hat den Prozess nicht allzu sehr erschwert. Das Aufnehmen war schon etwas schwieriger, aber nachdem wir uns informiert hatten, lief es reibungslos und sehr angenehm ab. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir an irgendeinem Ende der Aufnahmen durch die Pandemie eingeschränkt waren. Wir hatten entweder Glück oder waren clever … ein bisschen von beidem, so dass alles ziemlich reibungslos ablief.
Aber ich spreche nur von dieser Platte, denn das Leben als Band hat sich natürlich dramatisch verändert!
Sascha: Die Produktion und der Sound des Albums sind erstklassig, es ist so transparent, klar und dennoch kraftvoll und auch heavy. Wie war es, mit Jaime Gomes Arellano in den Orgone Studios in Großbritannien zu arbeiten?
Pedro: Als wir uns trafen, hat es sofort geklickt. Wir haben eine Menge gemeinsam, kulturell, musikalisch, persönlich. Der soziale Teil war super gut. Wir hatten alle einen Riesenspaß. Es gab Spaß, es gab Arbeit, es gab Austausch, Gespräche, Engagement und es gab eine wunderschöne Umgebung. Wir haben uns wirklich wie Einsiedler gefühlt, denn das Gomez Studio liegt buchstäblich mitten im Nirgendwo. Aber es ist wunderschön und inspirierend!
Dann ist da noch die Seite des Produzenten, und er hat nicht nur eine Menge der Texturen verändert, die wir hatten, bevor wir ins Studio gingen, sondern – was noch wichtiger ist – er hat das entfernt, was zu viel war. Bei Moonspell schichten wir einfach gern zu viel übereinander, das gebe ich zu!
Was die Aufnahmen angeht, arbeitet Gomez sehr viel an der Klangerfassung – er wählt die Mikrofone, ihre Positionen, die Verstärker und die Instrumente akribisch aus, sodass sie natürlich gut klingen, anstatt sie zu bearbeiten und an den Reglern zu drehen. Er möchte, dass das reine Fundament schon echt und gut genug klingt. Das ist großartig!
Sascha: Hermitage ist euer 13. Studioalbum, und was mir daran so gut gefällt ist, dass ihr nicht wie eine „alte“ Band klingt, der die Ideen ausgegangen sind und die sich mit jeder Platte nur selbst kopiert. Ihr klingt immer noch frisch und relevant. Wie haltet ihr eure Kreativität auf einem so hohen Level und erfindet die Band Moonspell immer wieder neu?
Pedro: Ich denke, Fernando und ich sind nach vorne blickende Personen. Wir tragen natürlich unsere Vergangenheit mit Stolz, aber wir machen uns viel mehr Gedanken über die Zukunft. Und natürlich hatte die ganze Band immer diesen Spirit. Wir achten ständig auf neue Bands, neue Musik, neue Kunst. Und wir , Moonspell, reagieren immer auf unsere eigene Musik und unsere Alben.
Unser Weg ist nicht gerade. Das sollte er auch nie sein, wir sind nicht so! Unser Weg ist kurvenreich, mit Höhen und Tiefen, voller Überraschungen. Ich denke, wir bekommen unseren Weg immer mehr in den Griff und auch wenn wir den Pfad nicht gestalten können, versuchen wir, ihn einfacher zu machen, ihn angenehmer zu gestalten.
Wenn du Moonspell gut kennst, wirst du sehen, dass dies eine Band war, die sich von Anfang an viel an ihre musikalischen Grenzen gewagt hat . Denke nur an die Abfolge Under the Moonspell, Wolfheart und Irreligious. Hör Dir dann Sin/Pecado gleich danach an! Es ist ein bisschen albern, aber es ist ehrliche Kunst.
Sascha: In eurem Promo-Material für die Platte sagt ihr, dass Hermitage (zu deutsch Eremitage) bedeutet, den Konventionen der Moderne und der Idee, dass der Mensch das Zentrum der Welt ist, den Rücken zu kehren. Könntest du das bitte näher erläutern und uns sagen, was Hermitage für dich bedeutet und welche Aspekte der Moderne und des modernen Lebens du nicht magst und gerne ändern würdest?
Pedro: Hermitage bedeutet für mich aufzubrechen und zu suchen. Gedankenlose Handlungen, die wir alle jeden Tag tun, zu hinterfragen und neue Antworten zu suchen. Selber über die Menschheit nachzudenken. Die meisten Menschen sind gezwungen, auf eine bestimmte Weise zu denken, und sie denken hauptsächlich nur an sich selbst. Hermitage ist ein Ort der Freiheit. Man ist auf sich selbst gestellt und denkt über alle nach.
In Bezug darauf, wie ich über die Moderne denke, mag ich Toleranz, ich mag Technologie, ich liebe es, keine Kriege zu haben, es gibt viele wunderbare Dinge in der modernen Zeit. Aber ich hasse die Entfremdung, den Individualismus, “first world problems” und die Beziehungen in den sozialen Netzwerken (neben der Arbeit), die sich als viel negativer erweisen als dass sie, wie man erwarten würde, positiv wären.
Sascha: Die Texte sind so kontemplativ, die Musik schwankt zwischen Melancholie, Nachdenklichkeit, Traurigkeit und Wut. Ist das ein sehr persönliches Album? Welche Gefühle sind in die Songs eingeflossen?
Pedro: Alle Alben sind persönlich, manche mehr als andere, und doch sind sie alle persönlich. Aber ich denke, ich weiß, was Du meinst, vielleicht ist es persönlich, weil es sich so anfühlt, als ob es Dir nahe ist, die Botschaft ist klarer und es spricht über viele Dinge, die viele von uns fühlen.
Wir hatten alle das Bedürfnis, weg zu sein. Weg von unserem persönlichen Leben, weg von unserem Beruf und manchmal auch weg von den anderen. Die Geschwindigkeit, der Druck, die Informationen, die Vielfalt der Dinge, die eigentlich keine Rolle spielen sollten, die in einer gewissen Entfremdung der Menschen enden, ist enorm. Das sind häufige Gefühle, die in die Lieder einfließen, vielleicht.
Aber weißt Du… unsere Kunst ist Musik und das ist unsere Botschaft. Ich kann nicht wirklich sagen, was mir durch den Kopf ging, als ich etwas schrieb. Normalerweise gibt es eine Motivation zum Schreiben, manchmal ist man sich dessen bewusst, aber oft ist es spontan. Und oft sind es Reaktionen auf einen Song oder ein Album, das wir gerade gehört haben.
Abschließend würde ich sagen, dass unsere Gefühle die sind, die man in diesem Album spürt. Es ist so nah dran, wie es nur geht! Wenn ich ein Schriftsteller wäre, könnte ich vielleicht die Gefühle schreiben, die in die Songs einfließen.
Sascha: Mir hat besonders gefallen, dass ihr das Album als eine Einladung an den Hörer betrachtet: Eine Einladung zur Einfachheit, wo nur die Musik zählt, wie ein Treffen von Freunden, die diese Melodien genießen, welche Unterhaltung und Trost spenden. Ich muss zugeben, dass mich das Album wirklich auf dieser tieferen Ebene trifft, besonders in diesen Zeiten der Abschottung und des „social distancing“ ist es eine wunderbare Möglichkeit, in Melodie und Musik zu flüchten und sich von der Realität und dem „new normal“ hinfort treiben zu lassen.
Meine Frage wäre nun: Wie viel von der Coronavirus-Krise ist in die Texte und Gedanken auf diesem Album eingeflossen?
Pedro: Nicht viel, um ehrlich zu sein. Das Konzept und die Ideen, was die Texte angeht, kamen in einem frühen Stadium der Komposition auf. Unser Lockdown hat früher begonnen als die Pandemie. Dieses Album drückt meiner Meinung nach das Paradoxon zwischen der Gesellschaft, die Isolation entwickelt, und dem Anspruch auf Freiheit vollkommen aus. Es bedurfte nicht der Pandemie, um zu sehen, wie der Individualismus die Zivilisation überholt. Wir wollen nicht allein sein, aber tun wiederum verdammt viel dafür, es zu sein!
Sascha: Wie haltet ihr euch als Musiker sowohl mental als auch finanziell in diesen Zeiten aufrecht, ohne live zu spielen, ohne Festivals, ohne die Möglichkeit, eure Musik zu präsentieren, euer Merch zu verkaufen, eure Fans, Musikerkollegen und andere Leute zu treffen? Und wie ist die Situation in Portugal im Moment? Ich hoffe, ihr seid alle gesund!
Pedro: Wir sind alle gesund, kein Grund zur Sorge außer der Tatsache, dass wir mehr essen und uns weniger bewegen…
Wie ich schon sagte, hat uns die Pandemie „geholfen“, uns auf das Album zu konzentrieren. Und 2020 war, wie wir es nennen, ein Albumjahr und zum Glück kann man mit einer Albumproduktion immer noch etwas Geld verdienen. Wir bekommen als Autoren auch etwas Autorengeld, das wir in Merch stecken, das die Fans großzügig gekauft haben und auch weiterhin kaufen.
Bei Moonspell versuchen wir immer, uns an neue Gegebenheiten anzupassen, und dieses Mal haben wir viel Mühe investiert, um unseren Fanclub auf Patreon, genannt Wolfpack, zu gründen und weiterzuentwickeln, den die Fans abonnieren können und wo wir eine Menge Inhalte liefern, wie Proben, Konzerte (wir sind jetzt in der Lage, sie professionell aufzunehmen), Podcasts, Videos, Meet und Greets, Merch, also einen Katalog von Vorteilen je nach Abo-Stufe (es fängt bei 3€ an und geht bis zu 50€ pro Monat).
Bald veröffentlichen wir exklusiv im Wolfpack die letzte Show, die wir am 17. Dezember 2020 vor Publikum gespielt haben. Es ist eine großartige Produktion! Außerdem haben wir den Abonnenten die Chance gegeben, das Album eher zu hören als alle anderen, ebenso wie die Videoclips anzusehen.
Natürlich kann uns nichts dafür entschädigen, dass wir nicht live vor Publikum spielen konnten. Wir hatten das Glück, letztes Jahr fünf Shows in Portugal spielen zu können, aber unser Mindset und unsere Genetik brauchen mehr davon! Es ist nicht nur eine Frage des Geldes, in unserem Fall war es nur eine emotionale Frustration. Aber weißt du was? Es gibt im Moment größere Probleme, die gelöst werden müssen. Wir müssen warten, bis wir an der Reihe sind, uns zu beschweren.
Sascha: Zurück zum neuen Album: Es wurde in vielen verschiedenen Formaten veröffentlicht, eine Deluxe-Sammlerbox mit Bonus 7″ Vinyl, verschiedene Vinyl- und CD-Editionen, digitaler Download und sogar auf Kassette. Hast Du ein bevorzugtes Format? Was denkst Du über das erneute Wachstum von Vinyl und sogar das Comeback der Kassette?
Pedro: Ich liebe Vinyl. Ich liebe sein Layout, seine Größe, seine Mechanik, aber vor allem seine Klangqualität. Nach dem Studio gibt es keinen besseren Klang als ein gutes Vinyl! Speziell die aus der Vinyl-Ära oder die neuen remasterten! Ich bin ein Käufer, ich bin ein Fan. Glaub mir, der Klang ist viel besser. Man kann die Musik fühlen, als ob sie direkt da wäre. Außerdem ist jede Platte wie ein Kunstwerk, das man besitzt. Es ist sehr befriedigend für mich, Musik in diesem Format zu haben. Kassetten sind eine andere Geschichte, ich kann ihren Charme verstehen, aber sie sind in keiner Weise besser. Es ist eine billigere Art, Musik zu hören, immer noch romantischer als Spotify oder Apple Music! In meinem Fall benutze ich tatsächlich noch Kassetten, da das Auto, das ich seit einem Jahr habe, nur Kassetten hat… in diesem Fall liebe ich es, Kassetten zu haben!
Sascha: Was denkst Du über das Spielen von Streaming-Gigs oder speziellen Formaten in den sozialen Medien, ist das etwas, was ihr auch in Betracht ziehen würdet, oder wartet ihr lieber, bis wieder normale Konzerte möglich sind und ihr wieder die echte Bühne vor einer Menschenmenge betreten könnt?
Pedro: Es ist eine Sache, etwas zu bevorzugen, und eine andere, etwas zu tun, das einem tatsächlich Spaß macht. Ich bevorzuge es, vor einem echten Publikum zu spielen, bei weitem. Aber zu streamen ist nicht so schlecht.
Wir haben ein Konzert in Portugal gestreamt und da war auch ein reduziertes Live-Publikum (trotzdem ein Publikum!). Ich glaube, wir werden mehr und mehr streamen, je nach Bedarf! Wir müssen unsere Musik zeigen, besonders mit einem neuen Album! Es ist eine Frage des Überlebens!
Sascha: Zu guter Letzt, da ich nun seit fast 30 Jahren ein Metalhead bin, möchte ich immer wissen, was die Lieblingsalben anderer Metalheads sind. Könntest Du mir also bitte deine drei Lieblingsalben aller Zeiten nennen, oder welche Bands einen großen Einfluss auf dich als Musiker oder Musikfan hatten?
Pedro: Wenn Du bei meiner Auswahl Metal oder ein bestimmtes Genre irgendeiner Art erwartest, wirst Du enttäuscht sein… Ich höre Musik um der Musik willen, dafür, was und wie sie mich fühlen lässt. Also werde ich versuchen, ehrlich und akkurat zu sein, obwohl es immer schwer ist, nur drei Platten von den 300 zu nennen, die ich liebe.
Die wichtigste davon ist „Desintegration“ von The Cure. Ich bin ein großer Fan von The Cure, und ich könnte „The Head on the Door“ oder „17 Seconds“ als meistgehörte Alben von ihnen nennen, aber „Desintegration“ ist das Album für mich!
Type O Negative – Bloody Kisses (für die Veränderung, die es in meiner Art, Musik zu hören, verursacht hat) oder October Rust (für die Tiefe des Albums) … die Karriere von Type O Negative ist hervorragend.
Fields of the Nephilim … und vielleicht wähle ich hier das Live-Album „Earth Inferno„, da die ganze Atmosphäre sehr gut zu meinen Bedürfnissen passt.
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